Der Henker A steht vor dem Tribunal der Partei, in deren Auftrag er die Feinde der kommunistischen Revolution in der Stadt Witebsk liquidiert hat. Der gesamte Prozess wird aus der Rückschau gegenwärtig, im Zwiegespräch mit einem Chor – einer Art Stellvertreter für das überlegene Bewusstsein des revolutionären Kollektivs.

Anlässlich des 30. Todestages Heiner Müllers (1929-1995) zeigt das theaterzentrum einen der poetischsten und widersprüchlichsten Texte des Autors, der in der DDR umgehend schriftlich verboten und ausdrücklich als konterrevolutionär eingestuft wurde. Fast ausschließlich wird chorisch gesprochen – das inhaltliche Hinterfragen von Kollektiv und Individuum also auch formal umgesetzt.

In »Mauser« streiten Humanität und Ideologie, Spontaneität gegen Linientreue und Gefühl gegen indoktrinierten Verstand; Antworten gibt es nicht mehr, nur noch die Frage: Was ist ein Mensch?

Mit
Florentina Degiampietro, Thomas Gasser, Laura-Marie Kumpitsch, Marco Pessl, Lena Pöltl, Linda Petschnigg, Adina Strahlhofer und Gerd Wilfing

Ausstattung
Yvonne Beck

Licht & Technik
Francis Kügerl

Regie-Assistenz
Johanna Aldrian

Regie
Simon Scharinger

Aufführungsrechte: Henschel Schauspiel Theaterverlag, Berlin

 Pressestimmen

Kleine Zeitung, 30. März 2025

Der Hölle so nahe
Heiner Müllers Revolutionsstück „Mauser“.

Das Gras, das ausgerissen werden muss, damit es grün bleibt; das verdiente tägliche Brot; die beschworene Treue. Suadisch im Chorgleichklang legte DDR-Autor Heiner Müller in „Mauser“ den Irrtum einer Revolution frei, die Gutes will und Böses tut. Der gute Tod erweist sich als Trugschluss, das unschuldige Blut fließt mit. Mörder und Ermordeter tauschen auch in der konzentrierten Inszenierung des Schärdinger Regisseurs Simon Scharinger ihre Rollen, im Hintergrund der Chor, stets nah genug, um die namenlosen Mitstreiter aufzufangen oder ihnen ein Messer in den Rücken zu rammen. Nacheinander und mit sehr sachtem Erkenntnisgewinn lassen die Figuren ihre Körper immer wieder leblos auf den knirschenden Kies fallen. Die Darbietung des Ensembles ist bemerkenswert, präzise und kompromisslos gehen sie den Weg der Revolution bis zum Ende, wenn es gilt, aufzuräumen. Als kluger, stimmungsstarker Einfall erweist sich die Bühnenlösung einer niedrig gehängten Decke (Bühne: Yvonne Beck, Francis Kügerl).

Daniel Hadler

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Steirer Krone, 30. März 2025

Revolution und Beklemmung
Beeindruckend: Heiner Müllers „Mauser“ im TZ Deutschlandsberg

Wer dem Text vertraut, hat schon gewonnen. Mit Heiner Müllers „Mauser“ hat sich Regisseur Simon Scharinger für kein leichtes, aber ein höchst wirkungsvolles Stück Dramatik entschieden. Es geht um Fragen der indivduellen Schuld, um das Kollektiv, um Krieg, um Revolution, um den Kommunismus. „Töten, damit die Revolution siegt und aufhört das Töten“, heißt es da einmal. Das junge Ensemble spricht im Chor mit starken Stimmen, ernsthaft und körperlich. Genau in den richtigen Momenten bricht die Spannung, ohne je das Stück in die Lächerlichkeit zu ziehen. Klug gestaltet ist das Bühnenbild von Yvonne Beck: Es erzeugt durch die niedrige, leuchtende Decke Beklemmung und stellt mit dem Kiesboden ein haptisch und akustisch interessantes Element zur Verfügung, das Scharinger maßvoll, aber prominent einsetzt. In einer Stunde ist alles gesagt, direkt auf den Punkt.

Hannah Michaeler

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Weststeirische Rundschau, 04.04.2025

(…) Keine leichte Aufgabe für den Regisseur Simon Scharinger, der wirkungsvoll die Protagonisten ohne Waffen, jedoch mit geiselnden Worten, diese irre Geschichte von Kommunismus, Revolution, individueller und kollektiver Schuld, von Mord und Totschlag erzählen lässt. Eine Inszenierung, die uneingeschränkt tiefen Eindruck hinterlässt, ebenso wie das strenge Bühnenbild sich ganz dem unterordnet: Kies, der jeden Schritt, das Fallen der Körper akustisch wiedergibt. Das niederhängende Deckenfragment, das das beklemmende Gefühl unterstreicht, wie eben auch die einheitlich grauen Kostüme aller Darsteller:innen es tun. (…) Zugegeben, keine leichte Kost! Aber nachgedacht sollte darüber zu jeder Zeit und von jedermann/frau werden. Daher hingehen, anschauen!

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kuma.at, 08. April 2025

https://kuma.at/magazin/beitrag/kritik-mauser-theaterzentrum-deutschlandsberg-2025-04-08

(...) Zu Anfang beeindruckt gleich die Bühne in ihrer Kargheit: Der Bühnenraum ist von oben her eingeschränkt und sonst gibt es nichts als ein großes, mit Schotter gefülltes Rechteck – die Wirkung ist erdrückend und bedrückend zugleich. Der verdichtete Raum ist in fahles Licht gehüllt, mit nur wenigen hellen Flecken. Jeder Schritt auf dem Schotter wird von den grau gekleideten Schauspieler:innen von einem Knirschen begleitet, womit jede kleinste Bewegung auf der Bühne hörbar wird (großartig reduzierte Ausstattung: Yvonne Beck). (...) In einer beeindruckenden und langen Szene der Stille beginnt die Säuberung: Die Mitglieder des Chors erscheinen nacheinander auf der Bühne mit Rechen, Besen und Wischmopp und bringen bedächtig und penible langsam die Bühne in ihren klinisch sauberen Ausgangszustand zurück. (...) Das von Heiner Müller 1970 geschriebene Lehrstück wird in Deutschlandsberg von seiner konsequent reduzierten Seite gezeigt: Die schnörkellose und deswegen beeindruckende und bemerkenswerte Inszenierung führt den Text auf den Kampf eines Individuums gegen die Masse zurück, das von der Revolution verbraucht wurde und nun entsorgt werden muss. Der Konflikt zwischen Individuum und System wird auf diese Weise in seiner menschenverachtenden Dimension sichtbar. Sowohl der Chor in seiner Gesamtheit als auch der Henker fügen sich in dieses eindrucksvoll düstere Spiel ein, in dem die totale Ideologie zu einer zum Selbstzweck gewordenen Revolution verkommt, die zur Selbsterhaltung den einzelnen bedingungslos verschlingt. Es beginnt mit der Aufhebung der individuellen Verantwortung, es folgt die Gewalt im Namen eines Prinzips und es endet mit dem Nähren der Revolution durch das Töten der Feinde, die, wenn ihr die Feinde ausgehen, letztendlich auf sich selbst als Nahrung zurückgreift.

Robert Goessl